L54 Levy, Henriette
 09.05.1869 - 31.03.1928

Henriette Levy
geb. Steinweg
geb. 9.5.1869
gest. 31.3.1928

 

aus: Gisela Möllenhoff / Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 – 1945. Teil I Biographisches Lexikon, Münster  ²2001

S. 265
LEVY
Henriette geb. Steinweg
6.6.1869 Wickede - 31.3.1928 MS
E: Levy Steinweg, Handelsmann, (1.4.1828 Wickede - 4.7.1905 MS) und Amalia geb. Rosenthal (10.3.1827 Oestrich - 21.5.1914 MS)
G: Selig (* 2.2.1857 Wickede); Benjamin (13.2.1859 Wickede - 30.3.1940 MS); Karl (25.6.1861 Wickede - 21.5.1914 MS); Salomon (13.1.1863/4 Wickede - 13.5. 1932 MS);  Moses (* 10.12.1866 Wickede); Jakob (20.4. 1871 Wickede - 13.5.1929 MS)
Sie wuchs als einzige Tochter eines Handelsmannes zusammen mit sechs Brüdern in Wickede auf. Die Familie lebte seit ca. 1880 in MS, Wilhelmstr. C 5 bzw. A 13. Mit 15 Jahren ging sie am 26.6.1884 als Dienstmädchen nach Borghorst und kam 1890 von Mühlheim zurück nach MS. Sie heiratete zwei Jahre später und zog sechs Kinder groß. Nach langem Leiden starb sie 59jährig und wurde auf dem jüd. Friedhof in MS begraben. Von ihren sechs Kindern wurden zwei im KZ umgebracht.

S. 265-268
LEVY
Lazarus    
25.4.1867 Merzweiler/Elsaß - ca. 1954/55 Frankreich
E: Jonas Levy u. Esther geb. Kirsch (* Merzweiler)
Schneider, Handelsmann, Rohproduktenhändler. Geboren als französischer Staatsbürger wurde er nach Eroberung und Annektierung von Elsaß-Lothrigen nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 Deutscher und wanderte um 1890 in Westfalen ein. Er heiratete 1892 in MS, übte bis 1897 das Schneiderhandwerk aus und betrieb dann einen Althandel. Er wohnte zunächst Wilhelmstr. 74 und Schulstr. 5, von 1906 bis 1935 Wolbecker Str. 138, wo er bei seinem ältesten Sohn Adolf lebte. Danach verlegte er seinen Rohproduktenhandel zur Wilhelmstr. A 11 (heute Stübbenstr. 11), wurde vermutlich von seiner Tochter Helene versorgt und zog nach deren Emigration am 28.7.1938 wieder zu seinem Sohn Adolf. Er galt seit ca. 1935 als "französischer Staatsbürger" und wurde etwa 1938 zur Auswanderung gedrängt. Er zog am 9.9.1938 zu seiner Schwester nach Straßburg. Kurz vor seinem Wegzug wurde ihm am 25.8.1938 aus unbekannten Gründen vom Reichspreiskommissar eine Geldstrafe von 1.500 RM auferlegt. Bei Beginn des 2. WK im September 1939 evakuierten die französischen Behörden die elsässische Bevölkerung der Grenzgebiete in den Südwesten Frankreichs. Er wohnte in dem kleinen Ort Neuvic sur l'Isle bei Périgueux, überstand den Krieg und verzog nach 1945 nach Fénétrange/Elsaß zu seiner dort verheirateten Tochter Helene, wo er um 1954/55 starb und auch begraben wurde.

∞ 23.2.1892 MS
EHEFRAU
Henriette geb. Steinweg
... [siehe Textzitat oben] ...

KINDER
Adolf
13.5.1893 MS - 14.12.1974 Frankreich

Bernard    
11.3.1895 MS - 26.2.1945 KZ Flossenbürg
Schuhmacher. Lehrling bei Schuhmachermeister Gerks in MS, Warendorfer Str. 50/52. Er heiratete 1927 eine Witwe Salm, doch wurde die Ehe geschieden. Von 1930 bis 1935 wohnte er in Recklinghausen, Castroper Str. 43. Nach seiner Rückkehr nach MS arbeitete er wieder bei seinem alten Lehrherrn. Er wohnte Wilhelmstr. 74, seit dem 3.8.1938 als Untermieter Warendorfer Str. 50. Auf die Vermieterin wurde Druck ausgeübt, ihm das Zimmer zu kündigen. Am 10.11.1938, dem Tag nach der Pogromnacht, wurde er am Vormittag von SA bzw. SS aus der Werkstatt geholt, in seinem Zimmer zusammengeschlagen und anschließend im Polizeigefängnis inhaftiert. Da er sich auf seine französische Staatsangehörigkeit berief, kam er nach wenigen Tagen frei und gelangte nach Straßburg. Die Wirtin schickte seine Habe auf Bitten des eingeschalteten französischen Konsulats nach Düsseldorf. In Frankreich wurde er laut Versailler Vertrag repatriiert und 1939/40 zum Militär eingezogen. Mit Kriegsbeginn wurde die elsässische Bevölkerung in die Dordogne evakuiert. Er kam als Flüchtling nach Neuvic sur l'Isle bei Périgueux, wo sich seine Geschwister befanden. Ihm wurde dort von der Gemeindeverwaltung ein Zimmer mit Bett und Stuhl zugewiesen, und er fand Arbeit in der Schuhfabrik Marbod in Neuvic. Am 10.3.1942 heiratete er Dora Neumann (* 20.5.1905 Frankfurt/M.), die wie er Flüchtling war. Seit August 1942 geriet das bisher unbesetzte Frankreich unter die Herrschaft der Deutschen. Bei Razzien wurde nach versteckten Juden gefahndet. Bis zum Februar 1944 entging er mit seiner Frau einer Verhaftung bzw. Deportation durch rechtzeitige Vorwarnung und Flucht in die Wälder. Am 26.2.1944 wurde er mit seiner Frau aufgespürt und in das Sammellager Drancy bei Paris verschleppt. Von dort wurde er am 20.5.1944 mit dem 74. Transport nach Auschwitz deportiert. Mit 187 Männern wurde er an der Rampe zu Schwerstarbeit bei Hungerration herausgesucht. Beim Herannahen der russischen Truppen wurde er Anfang Januar 1945 auf den Todesmarsch Richtung KZ Flossenbürg geschickt. Am 26.2.1945 erlag er den Strapazen oder wurde erschossen. Seine Ehefrau wurde nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet.

Helene
16.6.1897 MS - 1983 Frankreich
Verkäuferin. Sie arbeitete im Besatzartikel, Knopf- und Seidengeschäft "Lapp & Co." (Inhaber Moritz Stern). Da die Aufgabe des Geschäftes am 30.3. 1933 mit der Entlassung des jüd. Personals verbunden war, verlor sie ihre Anstellung. Sie versorgte danach vermutlich ihren Vater und wohnte mit ihm zuletzt Wilhelmstr. A 11 (heute Stübbenstr. 11) (1938). Die geplante Eheschließung mit einem nichtjüd. Mann konnte aufgrund des Verbotes durch die "Nürnberger Gesetze" von 1935 nicht mehr erfolgen. Als französische Staatsangehörige emigrierte sie am 28.7.1938 nach Straßburg und holte ihren Vater nach. Aufgrund der elsässisch-französischen Herkunft ihres Vaters wurde sie sofort eingebürgert und gelangte mit der Straßburger Bevölkerung bei Kriegsbeginn im Herbst 1939 nach Südwestfrankreich. Sie lebte mit ihrem Vater im Haushalt des Bruders Adolf in Neuvic sur l'Isle/Dordogne und konnte Razzien durch Flucht entgehen. 1946 kehrte sie nach Straßburg zurück und lebte vom Hausierhandel mit Stoffen. Sie heiratete einen (französischen) Vetter, dessen Ehefrau im KZ umgekommen war. Sie lebte bis zum Tode in Fénétrange/Elsaß.

Jacob  
24.7.1899 MS - 28.12.1939 Frankreich
Textilkaufmann. Begann mit einer Vertretertätigkeit im Juni 1923 in MS, wo er Wolbecker Str. 138 wohnte. Ab 1924/25 war er in Chemnitz tätig. Er emigrierte wie seine Geschwister zunächst nach Straßburg, heiratete die nichtjüd. Amerikanerin Emmy Frenzel (* 15.11.1895 Philadelphia) und hatte eine Tochter Janice. Während der Militärdienstzeit wurde er wegen Krankheit vorzeitig entlassen. Mit der elsässischen Bevölkerung wurde er bei Kriegsbeginn nach St. Orse evakuiert. Er verstarb 40jährig in Clairvivre. Nach seinem Tode kehrte seine Ehefrau mit der Tochter nach Straßburg zurück. Emmy L. verstarb am 13.11.1954.

Max    
8.2.1902 MS - Mai 1944 KZ Kowno/Kauen
Kaufmann, Händler. Er war seit 1918 im Rohproduktenhandel des Vaters tätig und wohnte in den 1930er Jahren im Eigentum des Vaters, Wilhelmstr. A 11 (heute Stübbenstr. 11), das er am 1.6.1938 über Einheitswert verkaufen konnte. Aufgrund der elsässisch-französischen Herkunft seines Vaters nahm er am 8.5.1938 in Merzweiler/Elsaß aufgrund des Versailler Friedensvertrages vom 28.6.1919 die französische Staatsbürgerschaft an. Dadurch stand seiner Emigration im August 1938 mit der Transferierung seines Vermögens, das durch ein deutsch-französisches Abkommen ("Sikap") möglich wurde, nichts im Wege. Reichsfluchtsteuer wurde von ihm als "nunmehrigem" Franzosen nicht erhoben. Seine Geschwister folgten bald darauf seinem Beispiel. Er wohnte zunächst in Straßburg und wurde sofort zum Militärdienst eingezogen, den er im September 1938 in Saverne/Zabern, dann im Infanterie-Regiment Nr. 26 in Nancy ableistete. Mit Beginn des 2. WK wurde er wie die übrigen Bewohner des französischen Grenzgebietes in die Dordogne umgesiedelt, bekam in Neuvic sur l'Isle ein Zimmer zugewiesen und erhielt von der Gemeinde ein Bett mit Zubehör als Erstausstattung. Den seit August 1942 einsetzenden Razzien durch die Französische Polizei und SS konnte er nach Vorwarnung entkommen, geriet jedoch im Frühjahr 1944 in die Hände der Gestapo und wurde am 15.5.1944, fünf Tage vor seinem Bruder Bernard, vom Sammellager Drancy bei Paris mit dem 73. Transport aus Frankreich deportiert. Da der Transport 878 arbeitsfähige Männer umfaßte, nicht aber, wie vorher allgemein üblich, auch Frauen und Kinder, wird vermutet, daß diese Deportation ein Racheakt der SS war. Ein Teil der Männer gelangte nach Kowno/Litauen, der andere Teil nach Reval/Estland. Es gab nur 16 Überlebende. Max L. wurde am 13.3.1952 vom Amtsgericht Ribérac/Frankreich für tot erklärt.

Heinrich    
7.8.1904 MS - 24.5.1977 Frankreich
Klempner, Installateur. Nach dem Besuch der jüd. Volksschule in MS absolvierte er von Mai 1919 bis November 1922 eine dreieinhalbjährige Klempnerlehre bei der Fa. Mulack. Nach weiteren Berufsjahren machte er sich 1929 in der Wolbecker Str. 138 als Bauklempner und Installateur selbständig. Anläßlich des 50jährigen Jubiläums der münsterischen Synagoge bewarb er sich am 18.4.1929 vergeblich um Auftragsarbeiten zur Renovierung des Synagogendaches. Während der NS-Zeit erhielt er kaum noch Aufträge und gab den erlernten Beruf auf. Von Juni 1935 bis Dezember 1937 war er Vertreter in Baumaterialien und wohnte Wilhelmstr A 11 (heute Stübbenstr. 11). Er emigrierte am 1.8.1938 nach Straßburg und wurde als französischer Staatsbürger lt. Versailler Vertrag repatriiert. Mit Kriegsbeginn wurde er nach Neuvic sur l´Isle/Dordogne evakuiert. Er heiratete dort am 15.5.1940 Leonie Braun (* 3.6.1902) aus Schaffhausen/Saar, Flüchtling aus Straßburg wie er. Der Sohn Jean-Pierre wurde in Neuvic geboren und getauft. Die Familie konnte unentdeckt überleben und kehrte 1946 nach Straßburg zurück, wo Heinrich L. als Klempner von vorne beginnen mußte, während die Ehefrau als Concierge tätig war.

 


Zum Lageplan  | Zur Personensuche