L90 Miltenberg, Ada
 06.09.1911 - 28.08.1934

Ada Miltenberg
geb. 6.9.1911
gest. 28.8.1934

Julius Miltenberg
geb. 6.6.1880
gef. 25.1.1917
in Russland

 

aus: Gisela Möllenhoff / Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 – 1945. Teil I Biographisches Lexikon, Münster  ²2001

S. 309
MILTENBERG
Ada Rose
6.9.1911 MS - 28.4.1934 Niederlande, Freitod
Nach dem Besuch der Volksschule erhielt sie ein Jahr lang Privatunterricht und war danach von Ostern bis November 1921 Schülerin der Vorschule der Kath. Höheren Töchterschule. Während der Erwerbstätigkeit ihrer Mutter (ca. 1922 - 1924) befand sie sich im jüd. Kinderheim in Köln und im Schuljahr 1924/25 in der Quarta der kath. Mittelschule in MS. Im Anschluß daran besuchte sie die Kunstgewerbeschule in MS. Sie emigrierte um 1933 nach Amsterdam. Da sie nach den Veränderungen ihres Lebens durch die NS-Diktatur für sich keine Zukunftsperspektive mehr sah, wählte sie dort den Freitod. Ihre Überführung erfolgte auf den jüd. Friedhof in MS.

S. 307-309
MILTENBERG
Julius
6.6.1880 MS - gefallen 25.1.1917 Ogle/Rußland
E: Aron Miltenberg (7.7.1848 Amelsbüren - 27.8. 1941 MS) u. Henriette geb. Weinberg (31.12.1852 Osterholz-Scharmbeck - 3.12.1931 MS)
G: Selma (11.11.1877 MS - Ghetto/KZ Riga); Arnold (* 19.11.1878 MS); Moritz (* 12.8.1882); Ludwig (15.12.1886 MS - KZ Riga-Strasdenhof)
Viehhändler. Wohnte Hochstr. 19 (1909), Dahlweg 23 (1911 Eigentum ?) und Annenstr. 22 (1917). Er wurde wie sein Vater Viehhändler und heiratete 1909. Während des 1. WK war er als Füsilier im 3. Ostpreuß. Grenadier-Regiment Nr.4 und schrieb ein Lobgedicht auf "sein" Regiment, das mit den Zeilen begann: "Wenn ihr einst des Ostens Heldenschar/ in Liedern und Weisen erzählend nennt,/ Dann denkt auch der Truppe, die überall war,/ dann nennt auch mit Stolz mein Regiment." Er starb am 25.1.1917 im Gefecht bei Ogle/Rußland durch Kopfschuß. Sein Soldatengrab befindet sich in Rußland. Er hinterließ zwei unmündige Kinder. Seine Witwe erhielt 1935 vom NS-Regime eine Anerkennung für seine Verdienste im 1. WK.

∞ 19.8.1909 MS
EHEFRAU
Renate geb. Katz
6.4.1885 Lippstadt - 2.11.1943 Ghetto Riga
E: Eli Katz, Metzger, (3.2.1852 Verne/Salzkotten - 31.1. 1935 MS) u. Adolfine geb. Stern (8.4.1857 Melle - 28.1. 1904 MS)
G: Grete ∞ Löwenstein, Oberhausen (* 14.6.1886 Lippstadt); Julius (24.8.1893 MS - KZ Auschwitz); Halbgeschwister aus 3. Ehe des Vaters: Walter (27.5.1907 MS - 1989 Israel); Emmy (* 13.8.1910 MS, lebte 1995 in Israel)
War seit ihrem fünften Lebensjahr in MS, Bernhardstr. 12, ansässig. Heiratete 1909 und wurde mit 32 Jahren Witwe. Bei Familienanlässen trug sie zur Geselligkeit eigene Gedichte familiären Charakters vor. 1919 gehörte sie dem "Israelitischen Frauenverein" MS an. Bezog seit 1917 eine Kriegerwitwenrente, außerdem seit 1924 eine "Vorzugsrente" für eine Kriegsanleihe, die ihr Ehemann im 1. WK gezeichnet hatte und die im März 1941 um 40 % gekürzt wurde. Ihre finanzielle Notlage zwang sie im Dezember 1921, eine Agentur für Packpapier und Drucksachen aufzunehmen. Ihre beiden Kinder brachte sie daher vorübergehend in einem jüd. Heim in Köln unter. Aufgrund falscher Beratung verkaufte sie das Eigentum am Dahlweg (?) und verlor den Kauferlös durch die Inflation. Ihre Tochter beging 1934 Selbstmord in Amsterdam, ihr Sohn emigrierte 1938. Sie erlebte die Verwüstungen der Pogromnacht im Hause des Rechtsanwaltes Ludwig Kaufmann, Mauritz-Lindenweg 29, wo sie vom 12.10. 1938 bis zum 11.4.1939 wohnte. Danach zog sie zur Achtermannstr. 7 und wohnte vom 7.8.1939 bis zur Deportation im "Judenhaus" Frie-Vendt-Str. 18. Wegen Vermögenslosigkeit wurde sie nicht zur "Judenbuße" herangezogen und war nicht reichsfluchtsteuerpflichtig. Trotzdem erfolgte eine Sperrung des Vermögens am 8.3.1940. Sie bezog im März 1940 eine monatliche Kriegshinterbliebenenrente von 77 RM. Ihr monatlicher Freibetrag für den Lebensunterhalt betrug in dem Monat 150 RM. Die gleiche Summe mußte sie 1940 für 30 Spritzen aufbringen, die sie erhielt, um die Gesundheitskontrolle im amerikanischen Konsulat passieren zu können. Sie hielt sich vom 7.9.1940 bis zum 26.10.1940 zur Kur in Baden-Baden auf, wurde dort jedoch im amtlichen Bäderkalender als Kurgast unterschlagen, um "arische" Kurgäste nicht vom Besuch des Ortes abzuhalten. Seit Anfang 1940 richtete sie immer dringendere Hilfsappelle an ihren Sohn, doch war sie mit einer zu hohen Nummer beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart registriert und es fehlte ein ausreichendes "Affidavit" ihres amerikanischen Verwandten. Ihre Gemütslage, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte, teilte sie dem in den USA lebenden Sohn in ihren Briefen mit. Im Sommer 1941 erkrankte sie schwer an Hepatitis und lag sieben Wochen im Krankenhaus in Havixbeck. Sie schöpfte mit der langsam fortschreitenden Genesung noch Hoffnung, die mit der Benachrichtigung über ihren "Arbeitseinsatz im Osten" zunichte wurde. Da sie manuell sehr geschickt und eine gute Strickerin war, fertigte sie vor der Deportation in Tag- und Nachtarbeit warme Wollsachen für Leidensgenossen an. Ihr weiterer Schicksalsweg führte sie mit dem ersten Deportationszug der Münsteraner Juden am 13.12.1941 in das Ghetto von Riga. Dort wurde sie nach Zeugenaussagen bei der Auflösung des Ghettos Riga bei einer Erschießungsaktion am 2.11.1943 ermordet.

KINDER
Alfred
* 10.8.1910 MS, lebte 1995 in den USA
Damenschneider. Besuchte drei Jahre die Vorschule und zwei Jahre das Städt. Gymnasium. Wegen der Berufstätigkeit seiner Mutter aus wirtschaftlichen Gründen (Kriegerwitwe) verbrachte er eine Zeitlang im jüd. Kinderheim in Köln. Erhielt anschließend seinen Volksschulabschluß in der jüd. Schule in MS und besuchte 1924 - 1926 die Handelsschule. Am 1.4.1926 begann er eine dreijährige Lehre bei der Fa. "Wolff & Co" (Stoffhaus), die wegen "außerordentlichen Fleißes und guter Leistungen" um sechs Monate gekürzt wurde. Seit dem 1.10.1928 war er dort als Verkäufer angestellt. Um seine Branchenkenntnisse zu erweitern, arbeitete er vom 1.6.1929 bis zum 28.2.1930 in der Weiss- und Buntwaren-Abteilung des Kaufhauses "Cohen & Eppstein" in Duisburg, fand anschließend eine Anstellung als erster Verkäufer im Kaufhaus Schocken, davon ein Jahr in Augsburg und acht Monate in Chemnitz. Daneben besuchte er 1931 einen halbjährigen Sonderlehrgang zur Bestimmung von Rohmaterialien, Garnen und Stoffen und machte einen Schneiderlehrgang in Chemnitz. Am 25.6. 1932 ließ er sich als Damenschneider in MS nieder. Er wohnte bis zur Auswanderung bei seiner Mutter Warendorfer Str. 80, Südstr. 30 und Hammer Str. 47. Das in der Neubrückenstr. 72 gemietete Geschäftslokal wurde ihm nach Erlaß der "Nürnberger Gesetze", die Juden unter Sonderrecht stellten, am 29.10.1935 mit Wirkung zum 1.12.1935 gekündigt. Als Grund nannte der Vermieter: "Die Kündigung erfolgt mit Rücksicht auf die heutigen besonderen Verhältnisse, ohne das (!) sonst Mietdifferenzen bestehen. Das Ladenlokal ist bereits zum 1. Dezember 1935 wieder anderweit vermietet." Da die Ausübung der Schneiderei bei zurückgehendem Kundenkreis aussichtslos wurde, gab er in jüd. Frauenvereinen von München bis Berlin Zuschneidekurse, u.a. auch in MS, wo die Vorsitzende, Trude Steinthal, ihm "taktvolle Geschicklichkeit" bei seiner Arbeit bescheinigte. Er emigrierte mit Hilfe einer Bürgschaft seines um 1900 ausgewanderten Onkels Alfred-Louis Miltenberg in die USA, nachdem er sein Visum (Reg.-Nr. 5.336) am 1.8.1938 erhalten hatte. Das Wehrmeldeamt MS bescheinigte ihm am 23.8.1938, daß gegen die Auswanderung keine Bedenken bestünden, da Juden nicht mehr zum Militär zugelassen waren. Er erwarb am 3.9.1938 Dollar im Werte von 50 RM und emigrierte am 5.9.1938, nachdem er seiner Mutter sein in Deutschland verbliebenes Vermögen geschenkt hatte. Da er Kriegswaise war, bekam er ein Empfehlungsschreiben des RjF. Der Neubeginn in Chicago begann mit der Arbeit als Friedhofsgärtner; dann wurde er Zuschneider in einer Kleiderfabrik. Nachdem er genügend Englischkenntnisse erworben hatte, stieg er in den Maklerbetrieb eines Verwandten ein. Durch die Heirat 1941 mit einer Amerikanerin wurde er amerikanischer Staatsbürger. 1946 machte er sich in Chicago selbständig und war 1995 noch berufstätig. Seine Mutter, die auf ihn ihre Emigrationshoffnung gesetzt hatte, konnte er wegen mangelnder Bürgschaft und restriktiv gehandhabter Einwanderungspolitik nicht vor der Deportation retten. Auch ein Bittschreiben an Präsident Roosevelt blieb erfolglos. Außerdem war seit Oktober 1941 eine Auswanderung aus Deutschland für Juden von der NS-Behörden verboten.

Ada Rose
6.9.1911 MS - 28.4.1934 Niederlande, Freitod
... [siehe Textzitat oben] ...


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